11 U 199/96
12 O 296/95 LG Lübeck
verkündet am 05. November 1998
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
der Frau .........................
Klägerin und Berufungsklägerin,
gegen
die Firma Degussa AG, Weißfrauenstraße 9, 603011 Frankfurt/Main vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch die Vorstandsmitglieder Dr. Uwe-Ernst Bufe, Prof. Dr. Herribert 0ffermanns, ebenda,
Beklagte und Berufungsbeklagte
hat der 11. Zvilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 1998 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Jahncke, des Richters am Oberlandesgericht Philipp und des Richters am Verwaltungsgericht Dr. Teschner für Recht erkannt.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Juni 1996 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht Lübeck zurückverwiesen.
Das Landgericht hat über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung zu befinden.
Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin und die Beklagte jeweils 298.600,87 DM.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von materiellem Schadensersatz und Schmerzensgeld mit der Behauptung in Anspruch, durch Amalgam aus der Produktion der Beklagten seien bei ihr schwere Gesundheitsschäden verursacht worden.
Die Beklagte hat sich in der Vergangenheit unter anderem mit der Herstellung des Zahnfüllmittels Amalgam und dessen Vertrieb im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes befaßt. Amalgam enthält in erheblichem Umfang Quecksilber, aber auch Silber, Zinn und Kupfer.
Die am 4. Juni 1961 geborene Klägerin hat nach vorprozessual vergeblich an die Beklagte herangetragenem Zahlungsverlangen behauptet, die als Zeugin benannte Zahnärztin Dr. med. Ingrid Gössel habe ihr in der Zeit von September 1965 bis Mai 1991 insgesamt 12 Füllungen unter Verwendung von Amalgam der Marke Standalloy gelegt, das durch die Beklagte hergestellt und vertrieben worden sei. Sie hat dazu als Anlage zur Klageschrift auch eine schriftliche Erklärung dieser Zahnärztin vom 10. August 1995 eingereicht, worin es heißt, es bestehe eventuell die Möglichkeit, daß bei der Klägerin im Behandlungszeitraum September 1965 bis Mai 1991 Amalgam der Marke Standalloy verarbeitet worden sei. Die Klägerin behauptet, schon nach den ersten Füllungen hätten sich bei ihr Symptome der Intoxikation durch Amalgam eingestellt. Im einzelnen seien folgende gesundheitliche Beschwerden aufgetreten.
- Seit 1966 bis 1970 habe sie unter Neurodermitis in stark ausgeprägter Form gelitten. Diese Neurodermitis sei im Jahre 1989 neu ausgebrochen und seitdem bis heute sporadisch immer wieder aufgetreten.
- Sie leide ferner seit 1966 bis heute unter Gesichtsblässe und ständigem sehr ausgeprägten Frieren. Von 1977 bis 1992 habe sie unter ständiger Müdigkeit gelitten.
- Seit 1974 leide sie unter ständiger stark ausgeprägter Kurzsichtigkeit - ihr sei 1974 zum ersten Mal eine Brille verschrieben worden.
- In dem Zeitraum von 1975 bis 1977 habe sie unter ständiger Akne, perioraler Dermatose, chronischen Handekzemen und seborrh. Kopfekzemen gelitten. Gerade in diesem Zeitraum hätten Zahnbehandlungen am 11. Februar 1975, 14. Oktober 1975, 8. Juni 1976, 13. Dezember 1976, 25. März 1977 sowie 22. April 1977 stattgefunden.
- Im Zeitraum 1981 bis 1987 habe sie unter ständigen stark ausgeprägten Ischialgien gelitten. Zahnbehandlungen seien seinerzeit am 24. Februar 1981, 8. April 1986, 21. Mai 1986, 2.Juni 1986, 24. Juni 1986, 27. April 1987 und 1. Dezember 1987 vorgenommen worden.
- Im Jahre 1993 sei bei ihr Morbus Bechterew diagnostiziert worden. Seit 1984 leide sie unter ständig stark ausgeprägtem Libidoverlust. Vom Jahr 1986 an habe sie häufig stark ausgeprägt entzündliche Hämorrhoiden gehabt, stark aufgetreten insbesondere in den Jahren 1986 und 1987. Eine Zahnbehandlung habe am 12. März 1985 stattgefunden.
- Seit 1987 seien bei ihr häufig stark ausgeprägte Magen-Darm-Beschwerden aufgetreten, die sich in Übelkeit, Durchfall und Magenkneifen geäußert hätten. Im Jahre 1987 bis 1989 habe sie darüber hinaus sporadisch ausgeprägte Nierenbeckenentzündungen mit Blut im Urin erlitten.
- Im August 1987 habe sie unter einer stark ausgeprägten Darmfissur blutend zu leiden gehabt, die bis Januar 1988 in Behandlung gewesen sei. Eine Zahnbehandlung habe am 27. April 1987 stattgefunden.
- Seit 1988 häuften sich bei ihr Erkältungsbeschwerden und Infektanfälligkeiten in starkem Umfang. Seit 1990 leide sie unter ständigem Haarausfall, entzündeten eingerissen Nasenlöchern und Darmbeschwerden.
- Im Jahre 1990 habe sie eine Fehlgeburt erlitten.
- Im Jahre 1992 Sei bei ihr eine Nierenzyste links diagnostiziert worden.
- Von 1992 bis heute habe sie unter vermehrter Schleimbildung und gerötetem Hals-Rachen-Raum in stark ausgeprägtem Umfang zu leiden.
- 1994 seien darüber hinaus diverse Nahrungsmittelallergien in stark ausgeprägtem Umfang eingetreten.
- 1994 seien auch MS-Herde im Gehirn durch Kernspintomographie diagnostiziert worden. Schließlich leide sie seit diesem Jahr unter Pilzbefall des Darmes und der Scheide in stark ausgeprägtem Umfange.
Wegen dieser vorgenannten Krankheitsbeschwerden habe sie sich insgesamt ständig in ärztlicher Behandlung befunden. Die Klägerin hat mit der Klageschrift für die genannten Erkrankungen verschiedentlich Beweis angeboten durch Zeugnis mehrerer von ihr benannter Ärzte.
Die Klägerin hat behauptet, sämtliche dieser genannten gesundheitlichen Schäden seien Folge einer Amalgamintoxikation, die sich im Herbst 1992 aufgrund entsprechender ärztlicher Untersuchungen bestätigt habe. Im Rahmen eines zuvor bestehenden Verdachts sei bei ihr im Oktober 1992 eine Panoramaaufnahme durch Kieferchirurgen durchgeführt worden. Diese Aufnahme biete die Möglichkeit, Schwermetalldepots im Kiefer zu erkennen. Ferner sei bei ihr eine Kernspintomographie des Hirns sowie der Oberbauchorgane vorgenommen worden. Dabei sei in der linken Niere ein Befund festgestellt worden. Hierbei handele es sich um ein Quecksilberdepot. Ferner seien Blut- und Urinuntersuchungen im Oktober 1992, November 1992, Dezember 1992, Januar/Februar 1993 sowie im August 1993 erfolgt. Ein Speicheltest sowie ein Epicutantest seien im November 1992 sowie im Dezember 1992 vorgenommen worden. Die Klägerin hat einige dieser Befunde als Anlage zur Klageschrift vorgelegt und im übrigen die Vorlage der weiteren genannten Befunde zu Beweiszwecken angeboten.
Die Klägerin hat zu ihrer Behauptung, die genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen seit 1966 seien auf das Amalgam und eine chronische Amalgamvergiftung zurückzuführen, im übrigen einen Arztbrief des Dr. med. habil. Max Daunderer vom 8. Dezember 1994 vorgelegt, in dem als Diagnose u.a. ein "Feer-Syndrom nach iatrogener Amalgamvergiftung" sowie "Metallherde im Kiefer - nachgewiesene Vergiftung" aufgeführt sind. Die Klägerin hat des weiteren eine Rechnung des Dr. med. habil. Daunderer vom 24. Juli 1995 vorgelegt, in der es als Diagnose heißt: "Bechterew, schwere kindliche Entwicklungs- und Verhaltensstörungen durch mütterliches Amalgam, Candida, nachgewiesene Folgen einer chronischen Quecksilbervergiftung und anderer Metalle bei Metallunverträglichkeit bei nachgewiesener Überschreitung der Toxizitätsschwelle im Sinne einer chronischen Quecksilbervergiftung, Zahnherde (alle chirurgisch sanieren!!!)". Schließlich hat Sie ein Gutachten des Dr. med. Haala aus Stockelsdorf bei Lübeck vom 6. Februar 1995 vorgelegt. Nach diesem Gutachten hat Dr. Haala bei ihr eine chronische Schwermetallintoxikation, Morbus Bechterew und eine Darmmykose diagnostiziert. Es seien dringend weitere Entgiftungsbehandlungen und nach erfolgter Zahnsanierung die operative Entfernung schwermetallhaltiger Kieferanteile erforderlich. Auf den Inhalt der genannten Gutachten bzw. der Rechnung, die als Anlage der Klageschrift beiliegen, wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat zwischenzeitlich sämtliche Amalgamfüllungen entfernen lassen - allerdings ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen nach Kofferdam - und durch Kunststoffüllungen als Langzeitprovisorien ersetzen lassen.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, in der wissenschaftlichen Diskussion bestehe inzwischen Einigkeit, daß Amalgamfüllungen gesundheitliche Risiken bergen würden. Es sei nachgewiesen, daß sich im Körper von Amalgamträgern beträchtliche Quecksilberdepots bilden würden. Die wichtigsten Wirkungen von Quecksilber seien aber Antriebslosigkeit, Kopfschmerz, Magen-/Darmbeschwerden, Schwindel, Zittern, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Muskelschwäche, Rückenschmerzen, Allergien, Nervosität, Apathie wechselnd mit Gereiztheit, Depressionen, Ataxie, Lähmungen, Pelzigkeit, Hör- und Sehstörungen, Infektanfälligkeit, Herzrhythmusstörungen und Anämie. Auch die weiter in Amalgam enthaltenen Bestandteile Zinn, Kupfer und Silber würden verschiedene - im einzelnen in der Klageschrift aufgeführte - Krankheitssymptome hervorrufen. Durch die potenzierende Wirkung dieser verschiedenen in Amalgam enthaltenen Bestandteile seien weitere Folgeschäden zu erwarten, die sich u. a. in der Parkinson' schen Krankheit, in Lähmungen , Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, psychische Störungen, Sprachstörungen, Zittern und torkeligen Gang, Verlangsamung sowie Erschwerung der geistigen Leistungsfähigkeit, Gedächtnisstörungen und hysterischen Anfällen äußern könnten.
Die Klägerin hat sich in der Klageschrift hinsichtlich dieser Auswirkungen von Amalgam auf Auszüge aus Studien verschiedener Wissenschaftler bzw. Forschungsinstitute berufen, die dort benannt und in Anlage beigefügt sind. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Vortrags wird auf die Klageschrift nebst den genannten Anlagen verwiesen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte aus § 84 ArzneimittelG verpflichtet sei, ihr jenen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden sei, daß sie infolge der Anwendung des durch die Beklagte hergestellten und in den Verkehr gebrachten Arzneimittels Amalgam körperliche und gesundheitliche Schäden von nicht unerheblichem Umfang erlitten habe. Das Schmerzensgeld sei mit mindestens 250.000 DM zu bemessen. Die Beklagte müsse auch jene Aufwendungen für die Feststellung der Amalgamintoxikation in Höhe von 2.600,87 DM zahlen, die die Krankenkasse nicht übernommen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum von Beginn der Einsetzung von Amalgamplomben im September 1965 bis zum 31 .10. 1992 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 1000 DM ab dem 01.11.1992 bis zum 31.10.1995 zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere, soweit sie nach dem 31.10.1995 entstehen, aus der Amalgamintoxikation zu bezahlen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.600,87 DM nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat mit Nichtwissen bestritten, daß Amalgam aus ihrer Produktion für die Zahnfüllungen der Klägerin verwendet worden sei. Es fehle dazu jeder substantiierte Vortrag, zumal die Zahnärztin Dr. Gössel die Verwendung von Amalgam der Beklagten gerade nicht sicher bestätigt habe. Die Beklagte hat auch bestritten, daß die von der Klägerin behaupteten Gesundheitsstörungen auf Amalgam zurückzuführen sein könnten. Vielmehr sei Amalgam ein seit Jahrzehnten erprobtes Arzneimittel. Die vorgelegten ärztlichen Gutachten seien unzulänglich und unqualifiziert. Die Voraussetzungen für eine Haftung aus § 84 Arzneimittelgesetz lägen insgesamt nicht vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der dort enthaltenen Bezugnahmen Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage durch das am 13. Juni 1996 verkündete Urteil abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der mit den Klaganträgen zu Ziffer 1. und 2. verfolgte Schmerzensgeldanspruch könne nicht auf § 84 AMG gestützt werden, sondern allein auf die §§ 823, 847 BGB. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage seien aber jedenfalls hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens der Beklagten nicht dargetan. Amalgam sei nämlich über Jahrzehnte das Medikament der ersten Wahl für die Sanierung von Zahnlöchern gewesen. Bedenken seien dagegen erst in den letzten Jahren erhoben worden.
Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargetan, daß das bei ihr verwandte Amalgam ausschließlich aus der Produktion der Beklagten herrühre. Frau Dr. Gössel habe in ihrer Erklärung nämlich nur bekundet, es bestehe eventuell die Möglichkeit, daß Amalgam der Beklagten verarbeitet worden sei.
Soweit ein Anspruch aus Gefährdungshaftung in Rede stehe, habe die Klägerin spezifische amalgambedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht dargetan. Auch ein medizinischer Sachverständiger könne heute rückwirkend nicht mehr mit hinreichender Sicherheit feststellen, ob und welche behaupteten Erkrankungen der Klägerin auf eine Quecksilbervergiftung zurückzuführen seien. Schon der Grad der Quecksilberbelastung lasse sich nicht für die Vergangenheit feststellen.
Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 19. Juni 1996 zugestellte Urteil am 10. Juli 1996 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 11. November 1996 am 7. November 1996 begründet.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe sie einen Anspruch auf Ersatz ihres materiellen Schadens aus Gefährdungshaftung nämlich § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG und aus Verschuldenshaftung gemäß den §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit § 5 AMG. Auch stehe ihr Schmerzensgeld aus den §§ 823, 847 BGB zu.
Die Klägerin behauptet, die Zahnärztin Dr. Gössel habe bei ihr in der Zeit von 1965 bis 1991 insgesamt 12 Zahnfüllungen unter Verwendung von Amalgam der Marke Standalloy der Beklagten verarbeitet. In einem Telefonat zwischen Frau Dr. Gössel und dem erstinstanzlichen Bevollmächtigten der Klägerin sei deutlich geworden, daß Zweifel an der Tatsache, daß Amalgam der genannten Marke der Beklagten im Behandlungszeitraum an die Praxis der Frau Dr. Gössel geliefert worden sei, nicht bestehen dürften. Im übrigen habe die Beklagte Lieferlisten und sei in der Lage, zu überprüfen, an welche Zahnärzte ihr Amalgam versandt worden sei. Unabhängig davon sei sie jedenfalls ihrer Warnpflicht nicht nachgekommen und habe keine Produktmitteilungen versandt.
Die Klägerin wiederholt auch ihre Krankengeschichte unter Verweis auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und behauptet unter Bezugnahme auf die überwiegend dort bereits vorgelegten ärztlichen Gutachten, diese Krankheiten seien aufgrund der Amalgambehandlung eingetreten. Zur Frage des Zusammenhanges zwischen der Amalgambehandlung und den Gesundheitsschäden verweist sie auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt gemäß § 153a StPO vom 31. Mai 1996 in einem Ermittlungsverfahren gegen führende Mitarbeiter der Beklagten wegen Körperverletzung in Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb von Amalgam. Dort sei die Staatsanwaltschaft zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, daß von Amalgamplomben eine nicht unerhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehe und Amalgam krank machen könne. Amalgam sei generell geeignet, gesundheitliche Beschwerden bei einer relevanten Anzahl von Amalgamträgern auszulösen. Gerade bei ihr - der Klägerin - sei die relevante Symptomvielfalt vorhanden, die als typische Folge einer Amalgamintoxikation angesehen werden müsse. Es liege deshalb ein Vollbeweis des Zusammenhanges zwischen der Amalgambelastung und den bei ihr aufgetretenen Gesundheitsschäden vor. Jedenfalls sei aber mindestens ein Anscheinsbeweis zu ihren Gunsten aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens und der dortigen Unterlagen geführt.
Soweit für die Ansprüche aus Deliktsrecht Verschulden der Beklagten erforderlich sei, müsse auch ein solches unter Verweis auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt bejaht werden. Gerade nach Auffassung der Staatsanwaltschaft unterliege es nämlich keinem Zweifel, daß die Verantwortlichen der Beklagten schon seit geraumer Zeit die Gefahren von Amalgam gekannt hätten oder zumindest hätten kennen müssen.
Auch die besonderen Voraussetzungen des § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG - nachteilige Folgen, die über ein nach den Erkenntnissen der Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen - lägen hier vor. Die Behauptung der Beklagten, bei Millionen von Menschen sei Amalgam ohne Probleme verwandt worden, werde in Abrede gestellt. Nach dem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß alle behördlichen und staatlichen Stellen die Amalgamverwendung für akzeptabel gehalten hätten. Bei der Darlegung einer Verletzung des sogenannten Nutzen-Risiko-Verhältnisses dürften im übrigen keine überhöhten Anforderungen an die Substantiierungslast des jeweiligen Klägers gestellt werden.
Zu den Fragen von Schaden, Kausalität, Verschulden und Nutzen-Risiko-Verhältnis hat die Klägerin im übrigen die sogenannte Tübinger Amalgamstudie des Arbeitskreises Umweltanalytik an der Universität Tübingen (Dr. Roller, Dr. Weiß und Maier:Teil 1 zum Quecksilbergehalt im Speichel von Personen mit und ohne Amalgamfüllungen und Teil 2 zum Zusammenhang zwischen der Quecksilberkonzentration im Speichel und bestimmten Krankheitssymptomen aus dem Jahre 1996/97) sowie das sogenannte Kieler Amalgamgutachten in der 2. Auflage von 1997 (verfaßt von Professor Dr. Wassermann und Mitarbeitern) vorgelegt. Auf diese Anlagen zu der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts vom 13. Juni 1996 aufzuheben und
- die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom Beginn der Einsetzung von Amalgamplomben im September 1965 bis zum 31.10.1992 nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 1.000 DM ab dem 01.11.1992 bis zum 31.10.1995 zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere, soweit sie nach dem 31.10.1995 entstehen, aus der Amalgamintoxikation zu bezahlen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
- die Beklagte zu verurteilen, ihr 2.600,87 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte behauptet, entgegen den Behauptungen der Klägerin habe die Zahnärztin Dr. Gössel nur bestätigt, daß "eventuell die Möglichkeit" bestehe, daß Amalgam der Marke Standalloy der Beklagten verarbeitet worden sei. Amalgam dieser Marke gebe es im übrigen seit 10 Jahren mit der Folge nicht mehr, daß es auch seit 10 Jahren nicht mehr geliefert werde. Unterlagen über die behaupteten Amalgamlieferungen an Frau Dr. Gössel existierten bei der Beklagten nicht mehr. Derartige Unterlagen würden als Geschäftsbriefe im Sinne des HGB einer Aufbewahrungspflicht von maximal 6 Jahren unterliegen.
Die Klägerin habe im übrigen auch ihren Schaden nicht ausreichend vorgetragen. Neue Unterlagen zu ihren Gesundheitsstörungen habe sie im wesentlichen nicht vorgelegt. Soweit verschiedene Arztbriefe bzw. ärztliche Gutachten erneut vorgelegt worden seien, fehle es an eigenen Feststellungen der jeweiligen Gutachter über eine angebliche Quecksilberbelastung.
Erst recht fehle es an einem Nachweis des Ursachenzusammenhanges zwischen den behaupteten Schäden und dem Amalgam. Der nunmehr von der Klägerin vorgelegte Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt vorn 31. Mai 1996 könne für sie nichts Günstiges belegen. Aus dem Bescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt ergebe sich gerade, daß dort keine individuelle Überprüfung der einzelnen Strafanzeigen erfolgt und es offengeblieben sei, ob die Aufnahme von Quecksilber aus Plomben tatsächlich gefahrengeneigt oder - wie dies die Schulmedizin annehme - völlig unbedenklich sei. Selbst die Staatsanwaltschaft habe darauf hingewiesen, daß die im Zusammenhang mit Amalgam behaupteten Beschwerden sich als Allgemeinbeschwerden darstellen würden, die über unterschiedlichste Ursachen auslösbar seien. Soweit sich der Staatsanwalt auf das sogenannte Kieler Amalgamgutachten von 1995 berufe, sei dieses Gutachten das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben stehe. Insbesondere habe kein Mitarbeiter der Beklagten bereits 1955 vor den Gefahren von Amalgam gewarnt. Die betreffenden Aufsätze des Degussa-Mitarbeiters Loebich würden sich allein mit der Frage beschäftigen, ob aus der Kombination von Amalgam und anderen Füllungen im Mund - seien es etwa Gold- oder Aluminiumlegierungen - Gefahren entstehen könnten. Loebich habe ausdrücklich hervorgehoben, daß Amalgam für sich genommen nicht nachgewiesenermaßen giftig wirken würde. Soweit in dem Kieler Amalgamgutachten der Eindruck erweckt werde, daß das Bundessozialgericht das Bestehen einer potentiellen Gefährdung durch Amalgam höchstrichterlich anerkannt habe, würde sich aus der in MDR 1994, 928 abgedruckten Entscheidung gegenteilig ergeben, daß nach Meinung des Bundessozialgericht auch ein naturkundlich orientierter Zahnarzt verpflichtet sei, seine Patienten üben die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Amalgamfüllungen nach dem Erkenntnisstand der zahnmedizinischen Wissenschaft zu informieren.
Hinsichtlich der Tübinger Amalgamstudie verweist die Beklagte im übrigen auf Anmerkungen des 1. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Zahnheilkunde, hinsichtlich des Kieler Amalgamgutachtens auf eine umfangreiche Stellungnahme verschiedener Autoren, herausgegeben von der Bundeszahnärztekammer Köln 1997. Aus diesen Stellungnahmen folge, daß es nach wie vor keinen Hin- oder Nachweis für eine gesundheitliche Bedenklichkeit von Amalgamfüllungen gebe. Die Beklagte verweist schließlich auf den Entwurf des Berichtes einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe Amalgam
der Europäischen Kommission von Juni 1997. Auch danach gebe zur Zeit keine Daten, die darauf hindeuten würden, daß Quecksilber in Amalgamfüllungen eine inakzeptable Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung darstelle.
Die Beklagte ist der Ansicht, vor dem Hintergrund dieser Gutachten sei Amalgam weder im Rahmen einer Nutzung-Risiko-Abwägung bedenklich und fehle es damit an den Voraussetzungen von § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG, noch könne etwa ein Verschulden ihrer Mitarbeiter als Voraussetzung für die Haftung aus den §§ 823,847 BGB festgestellt werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung aufgrund wesentlicher Verfahrensmängel gemäß § 539 ZPO. Der Klägerin steht möglicherweise ein Anspruch auf den geltend gemachten Schadensersatz einschließlich des Schmerzensgeldes zu, der hinsichtlich des materiellen Schadens auf 84 AMG und § 823 BGB, hinsichtlich des immateriellen Schadens auf die §§ 823, 847 BGB gestützt werden könnte. Es müßte dann allerdings eine durchzuführende Beweisaufnahme nicht nur ergeben, daß für die Zahnfüllungen der Klägerin tatsächlich Amalgam der Beklagten verwendet worden ist. Vielmehr müßte die Klägerin auch nachweisen, daß die von ihr behaupteten Erkrankungen tatsächlich auf die Wirkung des Amalgam zurückzuführen sind. Zudem müßte nach der durchzuführenden Beweisaufnahme feststehen, daß Amalgam nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung schädliche Wirkungen im Sinne von § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG hat und - hinsichtlich der Ansprüche aus den §§ 823, 847 BGB - der Beklagten auch schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann.
Das Landgericht hat übersehen, daß die Klägerin gerade solche Gesundheitsschäden als typischerweise durch eine Amalgamvergiftung hervorgerufen dargelegt hat, wie sie bei ihr selbst aufgetreten sind. Unter Berücksichtigung dieses Vortrages hätte es aber nicht streitentscheidend davon ausgehen dürfen, daß die Klägerin ihrer Darlegungslast hinsichtlich der Ursächlichkeit des Amalgams für die geklagten Beschwerden nicht genügt habe. Das Landgericht hat ferner übersehen, daß die Klägerin zur Frage des Zusammenhanges ihrer Beschwerden mit dem Amalgam bereits mehrere ärztliche Stellungnahmen vorgelegt hat, aus denen sich zumindest entnehmen läßt, daß diese Mediziner in ihrem konkreten Fall von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Amalgamvergiftung und jedenfalls eines Teiles der von ihr geklagten Leiden ausgehen. Hätte das Landgericht diesen Vortrag aber berücksichtigt, dann hätte es keinesfalls ohne zusätzliche sachverständige Hilfe streitentscheidend ausführen dürfen, es lasse sich jetzt auch für einen medizinischen Sachverständigen nicht mehr rückwirkend feststellen, ob die geklagten Leiden ganz oder teilweise auf eine Amalgamvergiftung zurückzuführen seien. Schließlich hat das Landgericht übersehen, daß sich die Klägerin für die Frage der Verwendung von Amalgam der Beklagten nicht nur auf die knappe und nicht eindeutige schriftliche Stellungnahme ihrer Ärztin bezogen hat, sondern auch auf deren Vernehmung als Zeugin.
1. Die Klägerin könnte möglicherweise einen Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten materiellen Schadens - einschließlich der begehrten Feststellung - aus § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG haben.
Das Landgericht ist insoweit noch zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei Amalgam um ein Arzneimittel im Sinne von § 4 AMG handelt, so daß der Gefährdungshaftungstatbestand des § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG hier im Grundsatz angewandt werden kann.
a. Die Klägerin müßte dann allerdings zunächst nachweisen, daß für die bei ihr zwischen 1965 und 1991 eingesetzten Zahnfüllungen Amalgam gerade der Beklagten verwandt worden ist. Dies hat die Klägerin jedoch - deutlich noch einmal in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, aber auch schon in der Klageschrift - unter Bezugnahme auf das Zeugnis ihrer Zahnärztin Dr. Gössel behauptet und ergänzend auf ein Telefonat ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten mit der Zahnärztin verwiesen. Da die Beklagte diesen Vortrag bestreitet, die bisherige knappe schriftliche Stellungnahme der Zahnärztin unzureichend ist und sich den nunmehr im Berufungsverfahren vorgelegten Behandlungskarteien für die dargelegte Frage nichts Abschließendes entnehmen läßt, müßte dieser angebotene Beweis auch erhoben werden.
Soweit die Berufung darüber hinaus meint, die Klägerin könne die Beklagte auch unabhängig von der Verwendung ihrer Produkte bei ihren Zahnfüllungen in Anspruch nehmen, weil sie jedenfalls Warn- und Hinweispflichten nicht erfüllt habe, läßt sich dafür weder in § 84 AMG noch in den von der Berufung in Bezug genommenen Entscheidungen des BGH (VersR 1992, 96 ff und VersR 1994, 439ff) sowie des OLG Frankfurt (NJW-RR 1996, 21 f) etwas für sie Günstiges entnehmen. In jenen Entscheidungen wird vielmehr zutreffend vorausgesetzt, daß der jeweils auf Schadensersatz klagende Geschädigte auch das konkrete Produkt des in Anspruch genommenen Herstellers verwendet haben muß.
b. Das Landgericht hat aber aufgrund unzureichender Auswertung und Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin verkannt, daß sie sowohl ihren Schaden als auch die Verursachung dieses Schadens durch Amalgam ausreichend substantiiert und schlüssig dargelegt sowie unter Beweis gestellt hat. Die geltend gemachten Ansprüche können deshalb nicht an einem unsubstantiierten Vortrag dieser Voraussetzungen von § 84 AMG - nämlich einer nicht unerheblichen Verletzung von Körper und Gesundheit eines Menschen, die infolge der bestimmungsgemäßen Anwendung des betreffenden Arzneimittels eingetreten sein muß - scheitern.
Zwar muß der Geschädigte im Grundsatz seinen Schaden und die Verursachung dieses Schadens als Folge der Inverkehrbringung eines fehlerhaften Produktes auch im Produkthaftpflichtprozeß in vollem Umfang darlegen und beweisen (BGH NJW 1991, 1948, 1951 mit zahlreichen Nachweisen). Jedoch dürfen die Anforderungen an die Substantiierung nicht übermäßig hoch angesetzt werden. So hat es der Bundesgerichtshof in einem Fall betreffend geltend gemachter Schadensersatzansprüche für behauptete Gesundheitsschäden durch Holzschutzmittel als schlüssigen Vortrag ausreichen lassen, daß der betreffende Kläger einerseits ein bestimmtes Beschwerdebild vorgetragen hatte, welches zu den typischen Schäden durch Holzschutzmittel gehören könnte, und andererseits behauptet hatte, diese Schäden seien eben durch die verwendeten Holzschutzmittel eingetreten. Dann laufe es nicht auf eine unzulässige Ausforschung hinaus, durch Sachverständigengutachten ermitteln zu lassen, ob die behaupteten Gesundheitsstörungen tatsächlich vorliegen würden und ob diese Schädigungen auf die Holzschutzmittel zurückzuführen seien (NJW 1995, 1160 f). In einem anderen Fall geltend gemachten Schadensersatzanspruches wegen behaupteter Gesundheitsschäden durch ein Arzneimittel hat der Bundesgerichtshof es für die Schlüssigkeit der Klage ausreichen lassen, daß der dortige Kläger bestimmte Gesundheitsschäden unter Beweisantritt behauptet und weiter unter Verweis auf Sachverständigengutachten behauptet hatte, diese Beschwerden seien auf die Einnahme des bestimmten Arzneimittels zurückzuführen. An die Substantiierungslast dürften - auch im Hinblick auf die besonderen Haftungsvoraussetzungen nach § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG - nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, um ein weitgehendes Leerlaufen der Vorschriften über die Haftung für Arzneimittelschäden zu vermeiden (VersR 1991, 780 f).
Im vorliegenden Fall aber hat die Klägerin zunächst die von ihr behaupteten Gesundheitsschäden im einzelnen nach dem jeweiligen Krankheitsbild benannt und auch zeitlich eingeordnet. Sie hat sich zu der überwiegenden Zahl dieser Erkrankungen jeweils auf Ärzte berufen, die sie seinerzeit behandelt haben sollen und nun als Zeugen gehört werden könnten. Zu den aktuell noch bestehenden bzw. seit Herbst 1992 (Beginn des Verdachts einer "Amalgamvergiftung") diagnostizierten Erkrankungen hat sie sich jeweils auf Gutachten von mehreren sie nunmehr behandelnden Ärzten berufen. Damit aber hat die Klägerin die Anforderungen an die Darlegung des Schadens erfüllt. Mehr als eine Beschreibung des Krankheitsbildes, eine zeitliche Einordnung der jeweiligen Krankheiten sowie eine Benennung des jeweils behandelnden Arztes kann von ihr nicht verlangt werden. Der Senat weist allerdings darauf hin, daß derzeit ein Beweis für diese Erkrankungen - ohne Erhebung der angebotenen Beweise in einer Beweisaufnahme - noch nicht erbracht ist. Auch hinsichtlich der aktuellen Erkrankungen können die vorgelegten Arztbriefe angesichts des Bestreitens der Beklagten für eine Überzeugungsbildung noch nicht ausreichen.
Die Klägerin hat aber auch den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Gesundheitsschäden und dem Amalgam ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, sie habe ihrer Darlegungspflicht nicht genügt, weil sie nur über Beschwerden klage, an denen Menschen bereits gelitten hätten, bevor Amalgam überhaupt zur Sanierung von Zähnen verwandt worden sei. Allein deshalb kann eine Haftung aus § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG nicht scheitern. Aus den in Literatur und Rechtsprechung veröffentlichten Beispielsfällen dürfte ohne weiteres bereits hervorgehen, daß gefährliche Arzneimittel in aller Regel nicht ganz spezifische, neue und bislang unbekannte Krankheitsbilder hervorrufen, sondern vielmehr durchaus zu solchen Krankheiten führen können, die auch schon vor dem Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels bekannt waren und auch weiterhin durch andere Ursachen ausgelöst werden können.
Das Landgericht hat aber darüber hinaus übersehen und in seinen Entscheidungsgründen nicht gewürdigt, daß die Klägern in der Klageschrift gerade ausführlich dargelegt und unter Beweis gestellt hat, welche spezifischen Krankheitsbilder typischerweise durch die in Amalgam enthaltenen toxischen Bestandteile - insbesondere Quecksilber - hervorgerufen werden. Sie hat eine differenzierte Liste von Krankheitsbildern bezogen auf die verschiedenen Amalgambestandteile vorgelegt und mit der Klageschrift vorgetragen, sowie als Anlage zur Klageschrift darüber hinaus Zusammenfassungen aus wissenschaftlichen Darstellungen auch zu dem entstehenden Beschwerdebild bei einer Amalgamintoxikation vorgelegt. Daraus ergibt sich allerdings, daß Amalgam ein breites Beschwerdebild zur Folge haben kann, das zahlreiche Erkrankungen enthält, die sicherlich auch durch andere Faktoren hervorgerufen werden können. Immerhin entspricht das von der Klägerin behauptete typische Beschwerdebild im Falle einer ,, Amalgamvergiftung" im wesentlichen auch dem komplexen eigenen Beschwerdebild, das die Klägerin ebenfalls im einzelnen dargelegt hat. Dann aber genügt ihr Vortrag hinsichtlich der Frage der Ursächlichkeit ersichtlich den genannten Anforderungen an die Darlegungspflicht. Sie hat einerseits unter Beweisantritt ein bestimmtes Beschwerdebild als Folge von Amalgam vorgetragen und andererseits dazu ein passendes eigenes Beschwerdebild dargelegt.
Soweit das Landgericht - ohne jegliche sachverständige Hilfe - meint, es könne aber auch ein medizinischer Sachverständiger jetzt nicht mehr rückwirkend feststellen, ob die von der Klägerin geklagten Leiden ganz oder teilweise auf eine Amalgamvergiftung zurückzuführen seien und welche Quecksilberbelastungen überhaupt für die Vergangenheit bestanden hätten, hat das Landgericht erneut erheblichen Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift übersehen. Denn die Klägerin hat für den Zusammenhang zwischen dem Amalgam und den geklagten Leiden nicht nur Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten, vor allem hat sie bereits ärztliche Stellungnahmen vorgelegt, aus denen sich gerade in ihrem konkreten Fall Hinweise für diesen Zusammenhang ergeben.
Zunächst hat die Klägerin hinsichtlich der Quecksilberbelastung ihres Körpers durchaus konkret vorgetragen, bereits mehrere Befunde vorgelegt und weiteren Beweis - insbesondere auch die Vorlage weiterer Befunde zu Beweiszwecken - angeboten. So hat sie eine Panoramaaufnahme angeboten, eine Kernspintomographie des Hirns sowie der Oberbauchorgane, die Befunde von DMPS- und Speicheltests sowie toxikologische Untersuchungsbefunde betreffend die extrahierten Zähne. Ob und inwieweit sich aus diesen Befunden Rückschlüsse auf die frühere Quecksilberbelastung und auf den Zusammenhang der behaupteten Erkrankungen mit den Amalgamfüllungen ergeben, kann ein Gericht ersichtlich nicht ohne sachverständige Hilfe beurteilen.
Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch ärztliche Stellungnahmen des Dr. med.
habil. Daunderer aus dem Jahre 1994 und 1995 sowie eine weitere ärztliche Stellungnahme
des Dr. med. Haala von Februar 1995 vorgelegt, aus denen sich jeweils ergibt, daß diese
Ärzte offensichtlich das dort jeweils aufgenommene, von der Klägerin geklagte
Beschwerdebild auf Amalgam zurückführen wollen. Sind diese knappen ärztlichen Gutachten
angesichts des Bestreitens des Beklagten zwar für eine abschließende Erkenntnis des
Gericht über den fraglichen Ursachenzusammenhang sicherlich unzulänglich, so verbietet
sich bei ihrer gebotenen Berücksichtigung aber doch derzeit ohne sachverständige Hilfe
eine Beurteilung dahin, daß auch ein medizinischer Sachverständiger den Zusammenhang
zwischen den geklagten Leiden und einer Amalgamvergiftung nicht mehr rückwirkend
feststellen könne, insoweit ist am Rande darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nunmehr
im Berufungsverfahren noch eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Arztes Dr.
Bückendorf vorn 04. Dezember 1995 vorgelegt hat, in der auch dieser Arzt zu der Diagnose
chronische Schwermetallbelastung durch Quecksilber aus Amalgamfüllungen
kommt.
c. Das Landgericht hat hinsichtlich der seine Entscheidung tragenden Umstände - nämlich der angenommenen unzureichenden Darlegung des Zusammenhanges zwischen den behaupteten Gesundheitsschäden und der Amalgamvergiftung sowie der angenommenen Unmöglichkeit einer sachverständigen medizinischen Feststellung dieses Zusammenhanges aber auch des fehlenden Nachweises einer Verwendung von Amalgam der Beklagten - jeweils einen wesentlichen Verfahrensfehler im Sinne von § 539 ZPO begangen. Ob ein solcher wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt, beurteilt sich aus der materiell-rechtlichen Sicht des Erstrichters, unabhängig von der Frage, ob das Berufungsgericht sie billigt. Danach liegt aber jedenfalls dann ein solcher Verfahrensfehler vor, wenn das Gericht den Kern des Parteivorbringens verkennt, entscheidungserhebliche Fragen verfehlt und deshalb notwendige Beweise nicht erhebt (BGH NJW-RR 1990, 1500, 1501 und NJW 1993, 538 f.). Das gleiche gilt für den Fall, wenn das Gericht streitige Tatsachen als unstreitig behandelt oder unter Übergehung eines Beweisantrages zu einer mangelhaften Tatsachenfeststellung kommt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl. 1997, § 539 Rn. 8 16 m. w. N.). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht wesentlichen Verfahrensvortrag der Klägerin verkannt, nämlich einerseits die von ihr vorgetragenen und zu ihrem eigenen Beschwerdebild passenden typischen gesundheitlichen Folgen einer Amalgamintoxikation und andererseits den von mehreren Ärzten in ihrem konkreten Fall angenommenen Zusammenhang zwischen ihren gesundheitlichen Beschwerden und dem Amalgam, schließlich aber auch den Beweisantritt zur Frage des verwendeten Amalgams. Darüber hinaus ist das Landgericht auch deshalb zu einer mangelhaften Tatsachenfeststellung gekommen, weil es unter Übergehung von Beweisantritten der Klägerin ohne ersichtliche eigene Sachkunde angenommen hat, ein Zusammenhang zwischen den geklagten Beschwerden und dem Amalgam könne auch ein medizinischer Sachverständiger rückwirkend nicht mehr feststellen.
d. Entgegen der Auffassung der Berufung liegt allerdings im Hinblick auf die Fragen von Schaden und Kausalität Entscheidungsreife nicht vor. Ein Vollbeweis ist angesichts des substantiierten Bestreitens der Beklagten mit den bisher vorgelegten Arztbriefen ersichtlich nicht erbracht. Im Hinblick auf den behaupteten Zusammenhang zwischen den Schäden und dem Amalgam kann der Klägerin aber auch der Beweis des ersten Anscheins nicht helfen. Allerdings wird ein Erfahrungssatz dahin angenommen, daß dann, wenn ein Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nachgewiesene schädliche Wirkungen hat, auch die bei dem Geschädigten eingetretenen Schäden - wenn sie von der gleichen Art sind wie die typischerweise aufgetretenen Schäden - auf die feststehende Arzneimittelanwendung zurückgeführt werden können (vgl. Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Loseblatt, Stand 42. Lieferung 1998, Nr. 3800, S.46 und Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Loseblatt 3. Aufl., Stand 64. Lieferung, Januar 1998, § 84 AMG Anm. 14, siehe auch BGH BB 1970, 1414 ff.). Im vorliegenden Fall soll aber die Folge einer Amalgamintoxikation ein äußerst umfängliches und vielgestaltiges Krankheitsbild sein, das sich gerade auch in zahlreichen Beschwerden ausdrückt, welche häufig vorkommen und auch durch unterschiedliche andere Ursachen auslösbar ist. Dann aber fehlt es an dem Ansatzpunkt eines eingegrenzten typischen Beschwerdebildes, das bei der Arzneimittelhaftung Grund für die Anwendung des Anscheinsbeweises im Bereich der Kausalität sein kann.
e. Entgegen der Auffassung der Beklagten erweist sich das Urteil des Landgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
Der Senat kann nicht feststellen, daß die Ersatzpflicht der Beklagten jedenfalls an den besonderen Voraussetzungen des § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG scheitert, wonach nämlich das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben muß, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (1. Voraussetzung) und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung haben (2. Voraussetzung). Im vorliegenden Fall dürfte die 2. Voraussetzung nicht problematisch sein, denn es ist unstreitig, daß dem Amalgam im Rahmen des Herstellungsprozesses das fragliche Quecksilber beigemischt wird, welches nach Vortrag der Klägerin die eigentliche Ursache für ihre Gesundheitsschäden sein soll. Ob auch die 1. Voraussetzung vorliegt, vermag der Senat aber nicht festzustellen. Auch insoweit dürfte die Klägerin ihren Darlegungspflichten, die nicht übermäßig hoch angesetzt werden können (BGH VersR 1991, 780, 781), genügt haben und wäre ihren diesbezüglichen Behauptungen im Rahmen einer Beweisaufnahme nachzugehen.
Soweit § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG als besondere Voraussetzung der Gefährdungshaftung fordert, daß das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben muß, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, knüpft es an die Erkenntnis an, daß Arzneimittel in vielen Fällen unvermeidlich auch bei bestimmungsgemäßen Gebrauch toxische Wirkungen zeigen. Gerade deshalb muß im Rahmen einer Nutzen-Risiko-Abwägung festgestellt werden, welchen Nutzen das jeweilige Präparat im Verhältnis zu dem entstehenden Risiko hat. Das Risiko ist dabei nach Art und Häufigkeit der schädlichen Nebenwirkungen und deren Auftreten unter verschiedenen Umständen zu bewerten. Je ausgeprägter die Wirksamkeit des Arzneimittels erscheint und je gravierender die Indikation ist, desto schwerere unerwünschte Arzneimittelwirkungen können toleriert werden. Bei der Abwägung von Nutzen und Risiko ist auch ein Vergleich mit anderen Behandlungsrnöglichkeiten vorzunehmen (vgl. zum Ganzen ausführlich Kullmann in Kullmann/Pfister, a. a .0., Nr. 3800, S. 26 ff m. w. N.).
Anders als bei der Frage der Zulassung von Arzneimitteln nach den §§ 5 ff AMG muß
für den Anspruch aus Gefährdungshaftung aus § 84 AMG allerdings positiv festgestellt
werden, daß das Arzneimittel die behaupteten, nicht mehr hinzunehmenden schädlichen
Wirkungen hat. Maßgeblich ist dabei, ob die Schädlichkeit des Mittels nach dem Stand der
medizinischen Erkenntnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung feststeht.
Liegt eine Schädlichkeit vor, so muß das Arzneimittel aber darüber hinaus auch
bedenklich
im Sinne des § 5 AMG sein und also gefragt werden, ob es -
die nunmehr festgestellten schädlichen Eigenschaften als bekannt vorausgesetzt - im
Zeitpunkt des lnverkehrbringens unter Berücksichtigung des sonstigen damaligen
Arzneimittelangebotes nicht hätte zugelassen werden dürfen (vgl. dazu ausführlich OLG
Stuttgart, VersR 1990, 631, 633 f und die auf diese Entscheidung bezogenen Ausführungen
des Bundesgerichtshofs in dem Nichtannahmebeschluß VersR 1990, 634 sowie Kullmann in
Kullmann/Pfister, a. a. 0 Nr. 3800 S. 27, Fußnote 83 a und S. 33).
Vor dem Hintergrund dieser besonderen Anforderungen an die Gefährdungshaftung vermag der Senat im vorliegenden Fall aber nicht auszuschließen, daß die fraglichen Voraussetzungen vorliegen könnten. Wurde nämlich - was wie dargestellt nur durch eine Beweisaufnahme zu klären ist - im vorliegenden Fall oder auch in dem parallelen Fall des Klägers aus dem Verfahren 11 U 198/96 festgestellt, daß dort jeweils das Amalgam die behaupteten umfangreichen gesundheitlichen Schäden hervorgerufen hatte, dann stünden im Grundsatz die behaupteten schädlichen Wirkungen im Sinne der besonderen Voraussetzungen des § 84 Satz 2 Nr. 1 AMG positiv fest. Es wäre dann weiter im Rahmen einer Nutzen-Risiko-Abwägung zu fragen, ob diese schädlichen Wirkungen über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Maßgeblich wäre dabei die Erkenntnis der letzten mündlichen Verhandlung.
Für den Senat läßt sich aber ohne sachverständige Hilfe unter Berücksichtigung sämtlicher von den Parteien vorgelegter schriftlicher Stellungnahmen aus dem Bereich der medizinischen Wissenschaft nicht beurteilen, ob diese von der Klägerin behaupteten schädlichen Wirkungen das vertretbare Maß bereits überschritten haben.
Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, daß Amalgam gegenüber anderen Füllstoffen offenbar weiterhin erhebliche Vorteile im Hinblick auf seine werkstofflichen Eigenschaften bietet, wie etwa ausführlich in dem von der Beklagten eingereichten ,,Göttinger Amalgamgutachten 1992" (dort S. 5) hervorgehoben wird, ebenso aber auch in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt vom 31. Mai 1996 (dort S. 10). Diese guten Eigenschaften scheinen allerdings andererseits das Amalgam nicht grundsätzlich unersetzlich zu machen, so daß sie sorgfältig mit etwa bestehenden Risiken abzuwägen wären.
Nach den vorgelegten Stellungnahmen der Wissenschaft geht nunmehr auch die Schulmedizin jedenfalls davon aus, daß die Quecksilberbelastung des Körpers - in unterschiedlichem Ausmaß je nach Konstitution - grundsätzlich mit der Zahl der Amalgamfüllungen ansteigt. Strittig scheint jedoch weiterhin zu sein, ob daraus auch konkrete gesundheitliche Risiken erwachsen. Mehrere der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahmen aus dem Bereich der Schulmedizin möchten dies offensichtlich verneinen, weil die in Untersuchungen gemessenen Quecksilberkonzentrationen auch bei Trägern von vielen Amalgamfüllungen die bislang akzeptierten Grenzwerte in der Regel nicht überschreiten sollen. Dem steht jedoch etwa eine von der Klägerin in Bezug genommene toxikologische Arbeit von Schiwara u.a. aus dem Jahre 1992 entgegen, wo die Autoren bereits seinerzeit fordern, die Quecksilberbelastungen aus Amalgamfüllungen müsse auch im Hinblick auf diese Grenzwerte neu überdacht werden, da in der heutigen Zeit wegen der Belastung mit zahlreichen anderen Umweltgiften ein ungünstiger Kombinationseffekt auftreten könne. Dem Senat erscheint aber vor allen Dingen von Bedeutung, daß die von der Klägerin nunmehr vorgelegte Tübinger Amalgamstudie aus dem Jahre 1996/97 nach einem breit angelegten Feldversuch an 20.000 Probanden zu dem Ergebnis kommt, es könne ,,ohne Einschränkung" der Beurteilung der Staatsanwaltschaft Frankfurt in dem genannten Einstellungsbescheid gefolgt werden, daß Zahnamalgam auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch generell geeignet sei, in einer relevanten Zahl von Fällen die Gesundheit von Amalgamträgern zu schädigen. Dabei soll es sich schwerpunktmäßig um Krankheiten des Mundraumes, des Magen- und Darmtraktes sowie des Nervensystems handeln. Gegen die Erkenntnisse dieser Tübinger Speichelstudie ist dem Senat lediglich eine kritische Einzelstimme, nämlich diejenige des 1. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Zahnheilkunde, vorgelegt worden, der zu dem Ergebnis kommt, aus dieser Speichelstudie ließen sich keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Quecksilberbelastung durch Amalgam herleiten. Immerhin wird dort ausgeführt, Patienten mit Beschwerden, die sie auf Amalgam zurückführen würden, müßten gewissenhaft medizinisch untersucht werden. Auch der 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Zahnheilkunde dürfte angesichts dieser letzteren Bemerkung wohl nicht vollständig ausschließen, daß im Einzelfall ein Nachweis zwischen Amalgam und den nicht unerheblichen genannten Beschwerden erbracht werden konnte. Vor diesem gesamten Hintergrund des offenbar durchaus in Bewegung sich befindlichen Standes der medizinischen Erkenntnisse vermag der Senat derzeit ohne weitere sachverständige Hilfe nicht zu entscheiden, ob nun die genannten Voraussetzungen des § 84 Satz 2. Nr 1, 1. Alternative AMG vorliegen oder nicht. Die Sache ist daher auch insoweit derzeit noch nicht entscheidungsreif.
2. Die Klägerin könnte möglicherweise auch aus anderen Vorschriften Ansprüche herleiten.
a. Allerdings hat sie einen Anspruch aus § 84 Satz 2 Nr. 2 AMG nicht dargelegt. Nach dieser Vorschrift haftet der Hersteller eines Arzneimittels nämlich nur, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Dieser Anspruch kann aber nur durchgreifen, wenn der Anspruchsberechtigte darlegt und gegebenenfalls beweist, daß der Schaden nicht eingetreten wäre, soweit die Gebrauchsinformation erschöpfend und zutreffend gewesen wäre (BGH NJW 1989, 1542, 1545 und Kullmann in Kullmann/Pfister, a. a. O., Nr. 3800 S. 38). Der Schaden muß also gerade infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein. Das jedoch hat die Klägerin im vorliegenden Fall nicht ausreichend substantiiert dargelegt. Gerade aus dem von ihr vorgelegten Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Frankfurt vom 31. Mai 1996 und auch aus dem Kieler Amalgamgutachten in der 2. Aufl. von 1997 geht deutlich hervor, daß die Schulmedizin jedenfalls in den achtziger Jahren im Grundsatz von der Unbedenklichkeit des Werkstoffes Amalgam ausgegangen ist. Auch haben jedenfalls damals für die Schulmediziner keine wissenschaftlich gesicherte Hinweise für eine Korrelation zwischen Amalgam und bestimmten Krankheiten vorgelegen. Vor diesem Hintergrund ist aber ohne nähere Darlegung der Klägerin für den Senat nicht zu erkennen, daß ihre Zahnärztin etwa durch umfangreichere Warnhinweise der Beklagten bewogen worden wäre, bei ihr auf den Einsatz von Amalgam als Füllungsmittel zu verzichten.
b. Die Klägerin könnte jedoch möglicherweise einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens aber auch einen Anspruch auf das begehrte Schmerzensgeld aus den §§ 823, Abs. 1, 847 BGB bzw. aus den §§ 823 Abs. 2, 847 BGB, 5 AMG haben. Voraussetzung wäre insoweit zunächst wiederum, daß - was streitig ist - als Füllungsmittel verwendetes Amalgam der Beklagten bei der Klägerin die von ihr behaupteten umfangreichen gesundheitlichen Schädigungen ausgelöst hat.
Sollte sich dies in einer Beweisaufnahme feststellen lassen, so kann der Senat jedenfalls derzeit nicht ausschließen, daß möglicherweise auch das für die genannten Anspruchsgrundlagen erforderliche Verschulden der Beklagten in Form von Fahrlässigkeit festgestellt werden kann. Es wäre dann im Rahmen einer Beweisaufnahme der Behauptung der Klägerin nachzugehen, daß es auch in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Verwendung von Amalgam als Füllungsmittel in ihrem konkreten Fall - also spätestens bis 1991 - bereits maßgebliche Forschungsergebnisse über das Eintreten erheblicher Schädigungen durch Amalgam - auch außerhalb der Schulmedizin - gegeben haben soll (vgl. zu den diesbezüglichen Voraussetzungen BGH in NJW 1989, 1542, 1545). Der Senat merkt am Rande an, daß der Klägerin diesbezüglich Beweiserleichterungen, wie sie im Produkthaftungsrecht gegenüber industriellen Herstellern anerkannt worden sind (vgl. nur Kullmann in NJW 1997, 1746, 1753 m. w. N.) nicht zugute kommen dürften. Es spricht einiges dafür, daß Gründe für eine Beweislastumkehr im Bereich des Verschuldens hier nicht vorliegen, weil der Gesetzgeber in § 84 AMG bereits einen besonderen, vollständig von dem Verschuldenserfordernis befreiten Anspruch aus Gefährdungshaftung geschaffen hat, der den schutzbedürftigen Interessen des jeweils Geschädigten ausreichend gerecht wird (so Kullmann in Kullmann/Pfister, a. a. 0., Nr. 3805, S. 13 f).
3. Liegen - wie unter 1. dargestellt - wesentliche Verfahrensmängel vor und läßt sich die Entscheidung des Landgerichts auch nicht im Ergebnis aus anderen Gründen aufrechterhalten, so ist hier die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 539 ZPO geboten.
Der Senat hat erwogen, ob gemäß § 540 ZPO von einer Zurückverweisung an die erste Instanz abgesehen und durch das Berufungsgericht selbst entschieden werden kann. Der Senat hält dies jedoch nicht für sachdienlich. Er hat dabei berücksichtigt, daß hier - wie aufgezeigt - voraussichtlich eine umfangreiche Beweisaufnahme ansteht, bei der angesichts des offensichtlich bestehenden Streites zwischen Schulmedizinern und sogenannten alternativen Medizinern und Toxikologen divergierende Auffassungen von Sachverständigen zu gewärtigen sein werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat aber nicht vertretbar, erstinstanzlich vollständig nicht geschaffene Entscheidungsgrundlagen erst im zweiten Rechtszug mit der Folge zu erarbeiten, daß der letztlich unterliegenden Partei die Überprüfung durch eine weitere Instanz genommen wird (vgl. dazu auch Zöller/Gummer, a. a. 0., § 540 Rn. 5). Zu bedenken war auch, daß eine derartige, voraussichtlich umfangreiche Beweisaufnahme eine erhebliche zeitliche Belastung des Senates zu Lasten anderer Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen würde. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände erscheint es dem Senat deshalb im Ergebnis nicht sachdienlich von einer Zurückverweisung abzusehen und selbst zu entscheiden.
Jahncke | Philipp | Dr. Teschner |
Ausgefertigt: Schleswig,den 09.11.98 (Wiborg) Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts |
Anlagen zum Urteil
Zweiter Abschnitt
Anforderungen an die Arzneimittel
§ 5 Verbot bedenklicher Arzneimittel
(1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen.
(2) Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
Sechzehnter Abschnitt
Haftung für Arzneimittelschäden
§ 84 Gefährdungshaftung
Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn
- das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung haben oder
- der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.
II) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Fünfundzwanzigster Titel - Unerlaubte Handlungen
§ 823 [Deliktischer Schadensersatzanspruch]
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
§ 847 [Schmerzensgeldanspruch]
(1) Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.
(2) Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird.
Der Text wurde im Juni 1999 von Dr. Siegfried Eyhorn eingescannt.