Amalgam-Informationen

© 1998 Dr. Siegfried Eyhorn. Diese Seite wurde am 27. April 1998 eingerichtet. Den Text hat ein aktiver Mitstreiter als Word.doc eingescannt. Ihm sei an dieser Stelle für seine Mühe gedankt.


 

BfArM
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Unser Telefonat vom 03.03.98 922-4212-DT-1073/98 030/4548-5387 10. März 1998

Sehr geehrter Herr Lauer,

wir bedanken uns für Ihre telefonische Anfrage, zu welcher wir Ihnen folgendes mitteilen:

  1. Es gibt nach derzeitigem Stand des Wissens keinen begründeten Verdacht, daß das Tragen von lege artis-gelegten Amalgamfüllungen zu einer Vergiftung mit anorganischem Quecksilber führt.

    Dennoch hat das ehemalige Bundesgesundheitsamt aus Gründen der Risikovorsorge in der Vergangenheit die nach dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand erforderlichen Maßnahmen getroffen, die therapeutische Anwendung von Amalgamen eingeschränkt und gleichzeitig darauf hingewiesen, daß der Einsatz auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden sollte, um die allgemeine Quecksilberbelastung des menschlichen Körpers zu verringern. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, daß während der Schwangerschaft keine umfangreichen Sanierungsmaßnahmen mit Amalgam erfolgen und bei Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen keine neuen Amalgamfüllungen gelegt werden sollen. Besonders sorgfältig gilt es abzuwägen, ob der Einsatz von Amalgam bei Kleinkindern bis zum 6. Lebensjahr, besonders aber in den ersten drei Lebensjahren, notwendig ist. Im Milchgebiß können durchaus Alternativmaterialien eingesetzt werden. Die genannten Maßnahmen erfolgten ausschließlich aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Die Anwendung von sog. "Entgiftungsmethoden" bei Amalgamfüllungsträgern ist aus wissenschaftlicher Sicht daher nicht erforderlich.

  2. Um den Nachweis einer Amalgamvergiftung zu führen wird vielfach der sog. Speicheltest durchgeführt:

    1. Zu den Quecksilberkonzentrationen, welche im sog. Speicheltest gemessen werden und aus denen eine Vergiftung abgeleitet wird, ist jedoch folgendes zu sagen:

      Die bei den sog. Speicheltests ermittelten Quecksilberkonzentrationen (nach dem Kaugummikauen) sind Ergebnisse eines punktuellen Belastungstestes und stellen keineswegs die Durchschnittswerte einer Dauerbelastung bezogen auf die Quecksilberfreisetzung aus Amalgamfüllungen innerhalb von 24 Stunden dar.

      Aufgrund epidemiologischer Untersuchungen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1972 die vorläufig duldbare wöchentliche Aufnahme von Gesamtquecksilber aus Nahrung, Luft und Trinkwasser festgelegt. Dieser sog. PTWI-Wert beträgt 300 µg Gesamtquecksilber bezogen auf eine 60 kg schwere Person, davon maximal 200 µg Methylquecksilber (organisch gebundenes Quecksilber).

      Dieser PTWI-Wert gibt die Menge an, welche lebenslang ohne gesundheitliche Risiken aufgenommen werden kann. Selbst ein Überschreiten des Richtwertes wird ohne Gefahren für die Gesundheit toleriert.

      Bei der Beurteilung von Amalgamfüllungen ist ausschließlich das anorganische Quecksilber, d. h. das elementare (dampfförmige), das metallische und das ionisierte Quecksilber von Bedeutung. Der Speicheltest gibt jedoch keine Auskunft darüber, in welcher chemischen Bindungsform das dort gemessene anorganische Quecksilber vorliegt. Dieses ist jedoch für die jeweilige Resorptionsquote von entscheidender Bedeutung:

      Beim Verschlucken von metallischem Quecksilber werden nur geringe Mengen (ca. 1 %) im Magen-Darm-Kanal resorbiert. Die Resorptionsquote von ionisiertem Quecksilber liegt bei ca. 15 %. Demgegenüber wird Quecksilberdampf zu ca. 80 % über die Lungen aufgenommen. Aus dem Speicheltest können daher keine Rückschlüsse auf die tatsächliche innere Belastung des Organismus mit Quecksilber aus Amalgamfüllungen gezogen werden.

      Im Hinblick auf die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegten Grenzwerte kann daher bei den durch Speicheltest gemessenen Werten von keiner Vergiftung gesprochen werden. Auch die in der sog "Tübinger Speichelstudie" vorgelegten Ergebnisse ändern diese Bewertung nicht:

      Selbst unter Beachtung der individuellen Speichelflußrate liegt keine für die im Speichel gemessenen Quecksilberkonzentrationen erforderliche Bezugsgröße vor: Die punktuell gemessenen Konzentrationen werden auf 1 l Speichel rein stöchiometrisch hochgerechnet. Nicht berücksichtigt wird, daß die Speichelsekretion, die sowohl interindividuell (die Tagesmenge kann 0,5 bis 2,0 Liter betragen) als auch intraindividuell (Ruhe- bzw. Reizspeichel) schwanken kann.

    2. Als ein weiteres Verfahren zum Nachweis der Amalgamvergiftung wird der sog. DMPS-Test nach der von Herrn Dr. Daunderer propagierten Methode durchgeführt.

      Bereits im Jahre 1992 wurde auf Seite 8 der Informationsbroschüre "Amalgame in der zahnärztlichen Therapie" des BGA dazu ausgeführt:

      "Zur Quantifizierung von Quecksilberbelastungen durch Amalgamfüllungen wird in den letzten Jahren der Mobilisationstest mit 2,3-Dimercaptopropan-l-sulfonsäure, Natriumsalz (DMPS) durchgeführt. Klinisch experimentelle Untersuchungsergebnisse verschiedener Autoren liegen hierzu vor. Die Mobilisation erfolgt nach intravenöser Gabe von DMPS. Urinproben werden nach ca. 3/4 Stunde gewonnen und ausgewertet. Die Höhe der Meßergebnisse nach dieser Urinsammelmethode und die daraus von den Autoren gezogenen Schlußfolgerungen werden jedoch in der wissenschaftlichen Literatur angezweifelt.

      Zweifel an der Höhe der Meßergebnisse lassen sich möglicherweise durch den verkürzten Urinsammelzeitraum und die Applikation von DMPS als Injektionslösung erklären. Der zu kurze Sammelzeitraum kann auch durch Referenzgrößen der Nierenfunktion (z. B. Kreatinin-Bezug) nicht kompensiert werden. Wenn der Quecksilbergehalt im Urin als ein Maß für die Belastung mit diesem Stoff dienen soll, sind Messungen in 24-Stunden-Sammelurin durchzuführen. Dies wird im übrigen auch vom Schwedischen Gesundheitsministerium empfohlen.

      Nach derzeitigem Stand des Wissens gibt es für routinemäßig erhobene Blut- bzw. Urinuntersuchungen im Zusammenhang mit Amalgamfüllungen keine Indikation."

      DMPS hat laut Aufbereitungsmonographie "Dimercaptopropansulfonsäure" u. a. das Anwendungsgebiet "Chronische und akute Vergiftungen mit Quecksilber (anorganische und organische Verbindungen, Dampf, metallisches Quecksilber)". Die Indikation "Amalgamvergiftung" ist nicht zugelassen, das Tragen von Amalgamfüllungen führt zu einer Quecksilberbelastung des Organismus, nicht jedoch zu einer Vergiftung.

      Der Arzneistoff DMPS hat Nebenwirkungen (z. B. Herzrhythmusstörungen, schwere allergische Hauterscheinungen, Übelkeit, Schwindel, Schwäche) und kann sogar im Einzelfall eine Quecksilbervergiftung hervorrufen.

      DMPS bindet in hohem Maße die Elemente Zink und Kupfer und kann daher den Mineralhaushalt beeinflussen. Ferner wurde bei Patienten das Auftreten von Kopfschmerzen und Gelenkbeschwerden beobachtet.

      In diesem Zusammenhang ist die Aufbereitungsmonographie zu "Dimercaptopropansulfonsäure" BAnz Nr. 194 vom 13.10.1994, S. 10758 (Jg. 46) i. V. mit BAnz Nr. 3 vom 05.01.1991, S. 59 (Jg. 43) [zu beziehen bei: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln] zu berücksichtigen:

      Unter dem Abschnitt "Nebenwirkungen" wird dargelegt:

      In Einzelfällen kann durch die Gabe von DMPS eine Mobilisation aufgenommenen Quecksilbers erfolgen und dadurch eine Quecksilbervergiftung ausgelöst werden.

      Die genannten Überlegungen zu sog. Nachweismethoden einer "Amalgamvergiftung" sind u. a. bereits in dem Stufenplanverfahren im Jahr 1992 mitbewertet worden.

  3. Im Jahre 1993 wurde erneut ein Stufenplanverfahren zu den potentiellen gesundheitlichen Risiken zahnärztlicher Amalgame eingeleitet.

    Das Amt hat nach Anhörung der Aufbereitungskommission B 9 (Zahnheilkunde) sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse medizin-statistischer, toxikologischer und klinisch-toxikologischer Gutachten die Fakten und Daten als Entscheidungsgrundlage für weitere Maßnahmen zur Einschränkung von Amalgamen entsprechend der Risikolage gesammelt und bewertet.

    Danach hat das Amt im Stufenplanverfahren mit Bescheid vom 31.03.1995 den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern gegenüber folgende im Hinblick auf Anwendungseinschränkungen für notwendig gehaltene Änderungen in der Muster-Fach- und Gebrauchsinformation für Amalgame angeordnet:

    1. Keine Anwendung als Material für Stumpfaufbauten zur Aufnahme von Kronen und Brücken.
    2. Keine Anwendung als Füllungsmaterial im Bereich von Gußkronen.
    3. Es sollten keine neuen Amalgamfüllungen bei okklusalem oder approximalem Kontakt mit vorhandenen Kronen oder Brücken gelegt werden.

      Aufgrund des Kontaktes von frischem Amalgam mit anderen metallischen Restaurationen wird das Risiko des Auftretens von elektrogalvanischen Phänomenen oder metallischem Geschmack (Anwendungseinschränkungen 1 - 3) erhöht.

    4. Aus vorbeugendem Gesundheitsschutz sollte keine bzw. keine weitere Anwendung von Amalgam während der Schwangerschaft erfolgen.
  4. Das BfArM hat bei der Bewertung potentieller gesundheitlicher Risiken durch Amalgame die wissenschaftlichen Argumente für und wider den Einsatz von Amalgam abgewogen und die Ergebnisse dieser Nutzen-Risiko-Abwägung mit dem Nutzen und den Risiken von Alternativmaterialien verglichen. Auch Werkstoffe wie Füllungskunststoffe oder Gußlegierungen können in verarbeitetem Zustand Bestandteile im Munde des Patienten abgeben und sind daher keineswegs als biologisch unproblematisch anzusehen.

    Füllungskunststoffe können Substanzen abgeben, welche allergen, lokal-toxisch oder systemisch-toxisch wirken.

    Es gibt eine Vielzahl von Gußlegierungen (ca. 1000), welche die Herstellung von Inlays, Kronen oder Brücken u. a. ermöglichen. Die Bioverträglichkeit einer Legierung wird in entscheidendem Maße durch ihre Eigenschaft zu korrodieren, d. h., Bestandteile in Lösung abzugeben, bestimmt. Auch diese Werkstoffe können daher potentielle gesundheitliche Risiken aufweisen. Es liegen Patientenberichte vor, in denen Allergien sowie lokal- bzw. systemisch-toxische Wirkungen durch gegossenen Zahnersatz angegeben werden. Auch diese Verdachtsfalle unerwünschter Wirkungen werden durch eine klinisch-toxikologische Einzelfallanalyse überprüft.

    Das ehemalige Bundesgesundheitsamt hat in Zusammenarbeit mit verschiedenen Sachverständigen Empfehlungen zur Risikominimierung bei der Auswahl und Verarbeitung von Dentalgußlegierungen erarbeitet und diese der Öffentlichkeit vorgestellt.

  5. Auf Anregung der Bundesregierung intensiviert die Europäische Normungsinstitution CEN die Normungstätigkeiten auf dem Gebiet der Prüfverfahren für Dentalgußlegierungen mit dem Ziel der weiteren Erhöhung der Patientensicherheit. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist an dieser Normung beteiligt.

    Wir weisen darauf hin, daß im Rahmen einer europäischen Rechtsharmonisierung seit dem 01.01.1995 die zahnärztlichen Werkstoffe wie Amalgame, Füllungskunststoffe oder Gußlegierungen als Medizinprodukte definiert und im Medizinproduktegesetz geregelt werden. Sie müssen die Grundlegenden Anforderungen erfüllen, die durch europäische harmonisierte Normen konkretisiert werden können. Sie unterliegen einem nach dem Medizinproduktegesetz EG-einheitlichen Bewertungsverfahren.

    In der Anlage übersenden wir Ihnen den Bescheid des Bundesinstituts vom 31.03.1995 sowie den Widerspruchsbescheid vom 21.07.1995, in welchem das unseren Maßnahmen zugrundeliegende wissenschaftliche Erkenntnismaterial dargelegt wird.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Dr. T. Zinke