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©1998/99 Dr. S. Eyhorn. Text am 9. März 1999 eingescannt.
SOZIALGERICHT KONSTANZ
Geschäfts-Nr: S 2 Kr 378/92
Verkündet am 22.04.94
Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit
Frau ..................
- Klägerin -
gegen
Deutsche Angestellten Krankenkasse, vertr. d. d. Geschäftsführer, Nagelsweg 27 - 35, 20097 Hamburg
- Beklagte -
Die 2. Kammer des Sozialgerichts Konstanz
hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.04.94
in 78462 Konstanz, Webersteig 5
durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht, M ü l l e r
und die ehrenamtlichen Richter Hermann Bohner und Hans Ehe
für Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 20.02.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1992 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den bereits erstatteten Betrag hinaus die Kosten des Austausches von Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen durch Dr. Stenkamp, Ravensburg, in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Streitig ist, ob beklagte Ersatzkasse der Klägerin die Kosten des Austausches von Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen in vollem Umfang erstatten muß.
Die 1961 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Unter Vorlage einer Bescheinigung der Hautärztin Dr. Mende, Weingarten, beantragte sie im Januar 1991 die Übernahme der Kosten des Austausches ihrer Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen. Frau Dr. Mende schreibt, bei der Klägerin bestehe der Verdacht auf eine chronische Quecksilberintoxikation durch Amalgamfüllungen. Der Normalwert in Speichel sollte 2,7 Einheiten betragen. Bei der Klägerin sei der Normalwert im Speichel 5,0 µg/l, nach 10 Minuten kaugummikauen steige der Wert für Quecksilber auf 14,0 µg/l an. Es sei somit von einer chronischen Intoxikation durch aus den Amalgamfüllungen freigesetzte Quecksilberionen auszugehen. Ein Austausch der Amalgamfüllungen sei dringend zu empfehlen. Die Klägerin leide unter Migräne, einem Hauptsymptom der Quecksilbervergiftung.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.02.1991 ab, soweit die Klägerin volle Kostenübernahme begehrte. Gußfüllungen zählten zu den außervertraglichen Leistungen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bestehe keine Notwendigkeit, anstelle von Amalgam Gußfüllungen zu verwenden. Das aus Amalgamfüllungen freigesetzte Quecksilber reiche zur Auslösung einer Quecksilbervergiftung nicht aus. Aus toxikologischer Sicht bestehe derzeit keine Veranlassung, auf den Werkstoff Amalgam zu verzichten. Es könne deshalb, - satzungsgemäß - nur ein Zuschuß für Gußfüllungen in Höhe von 1017,05 DM gezahlt werden.
Die Klägerin ließ im März 1991 die Amalgamfüllungen dennoch durch Gold-Gußfüllungen ersetzen. Zahnarzt Dr. Stenkamp, Ravensburg, stellte der Klägerin einen Betrag von 3.686,58 DM in Rechnung, wobei er die Kosten der Gußfüllungen allein auf 2.236,08 DM bezifferte.
Die Beklagte erstattete einen Betrag von 1.449,05 DM.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vorn 20.02.1991 Widerspruch. Durch die Bescheinigung von Dr. Mende sei eine chronische, inhalative Intoxikation durch Quecksilber nachgewiesen. Deshalb müsse eine Übernahme der Behandlungskosten durch die Beklagte erfolgen. Die chronische Intoxikation habe zu einer, auch andere Umweltgifte betreffende schweren Sensibilisierung geführt. Würde eine Amalgamsanierung nicht durchgeführt, würden in der Folgezeit sehr schwere Gesundheitsschäden im Bereich des Immunsystems und Nervensystems auftreten, die außerordentlich hohe Behandlungskosten verursachten. Das Bundesgesundheitsamt habe übrigens empfohlen, Amalgame bei Schwangeren und Kleinkindern nicht mehr in der Zahnerhaltungstherapie einzusetzen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.1992 als unbegründet zurück. Der Zahnarzt-/Ersatzkassenvertrag sehe plastisches Füllmaterial vor. Damit sei eine ausreichende und zweckmäßige Behandlung sichergestellt. Gußfüllungen seien vom Vertrag nicht erfaßt. Insoweit handele es sich um Privatbehandlung. Würden Gußfüllungen anstelle plastischer Füllungen gelegt, könne im Ausnahmefall das Mehrfache des maßgeblichen Punktwertes übernommen werden.
Der Hinweis auf gesundheitliche Beeinträchtigungen könne nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Den Besonderheiten des Einzelfalles sei durch die Anwendung der Ausnahmeregelung bereits Rechnung getragen.
Daß die heute gebräuchlichen hochwertigen Amalgame im übrigen gesundheitlich unbedenklich sind, geht nach Auffassung der Beklagten aus Äußerungen der Zahnärztekammer Hamburg und Äußerungen von Wissenschaftlern hervor. Auch Sozialgerichte hätten schon festgestellt, daß Krankenkassen nicht fehlerhaft handeln, wenn sie in Fällen wie diesen keine höheren Leistungen zur Verfügung stellten.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Ihre Beschwerden, Migräne und starkes Kopfweh, hätten vor etwa 10 Jahren begonnen. Vor 10 Jahren habe sie auch Ihre Amalgamfüllungen bekommen; vorher habe sie noch keine gehabt. Sie habe zunächst nicht gewußt, worauf sie diese Migräneanfälle mit starkem Kopfweh zurückführen solle. Sie sei deswegen verschiedentlich in Behandlung bei Heilpraktikern, zuvor auch beim Hausarzt, gewesen. Sie habe angenommen, daß die Beschwerden beispielsweise von der Pille herrührten. Diese habe sie dann abgesetzt. Auch habe sie auf Rat der Heilpraktiker ihre Ernährung umgestellt. Es habe aber alles nichts genützt. Die Anfälle seien im Schnitt zwischen 5 und 6 mal (monatlich) aufgetreten.
Seitdem die Amalgamfüllungen entfernt seien, komme es im Schnitt noch 2 mal im Monat zu derartigen Anfällen. Inzwischen wisse sie aber, daß durch das Entfernen der Füllungen selbst der Quecksilberspiegel im Körper ansteige. Dies wäre vielleicht durch bestimmte Methoden zu verhindern gewesen. Sie habe dies allerdings erst im nachhinein erfahren. Auf Anraten der Beklagten habe sie das Attest von Frau Dr. Mende beigebracht. Es seien Tests durchgeführt worden, auch Allergietests. Eine Allergie gegen Quecksilber bestehe nicht, wohl aber gegen andere Stoffe. Auf Veranlassung von Dr. Mende sei ein Kaugummi-Kautest durchgeführt worden. Ein Urintest sei nicht vorgenommen worden. Daß ein solcher üblich sei, habe sie nicht gewußt.
Die Amalgamfüllungen seien in der Praxis Dr. Stenkamp gelegt worden.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin trägt ergänzend vor, bei der Klägerin sei durch das ausgasende Quecksilber aus den Amalgamfüllungen bereits eine Intoxikation eingetreten, die zu einem erheblichen Teil irreversibel sei. Wenn nun zur Behandlung dieser Intoxikation, d.h., der Gesamterkrankung des Körpers der Klägerin, bestimmte Maßnahmen wie auch das Entfernen der Amalgamfüllungen zur Verhinderung weiteren Ausgasens von Quecksilber und Eindringen dieses Giftes in den Körper der Klägerin erforderlich sei, so müßten diese Maßnahmen deshalb durchgeführt werden, weil sie der Wiederherstellung der Gesundheit der Klägerin dienten. Es gehe nicht lediglich um die Wiederherstellung der Kaufähigkeit des Gebisses. Unstreitig i.S. der medizinischen Wissenschaft sei, daß aus den Füllungen Quecksilberdampf, und zwar atomares Quecksilber abgegeben werde und über die Atmung in den Körper gelange. Bei genügender Anzahl von Amalgamfüllungen würden im Innenraum des Mundes Luftbelastungswerte mit Quecksilber erreicht, die etwa dem MAK-Wert entsprächen.
Amalgame seien Arzneimittel i.S. des Arzneimittelgesetzes. Wenn bei Arzneimitteln giftige Stoffe mit Nebenwirkungen - bei Quecksilber völlig unbestritten - eingesetzt würden, so könne und dürfe dies nur geschehen, wenn das im Medikament eingesetzte Gift dazu dienen solle, andere, schwere Gesundheitsschäden abzuwenden. Eine solche Situation liege bei den Amalgamen nicht vor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 20.02.1991 In der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den bereits erstatteten Betrag hinaus die Kosten des Austausches von Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen durch Dr. Stenkamp, Ravensburg, in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bestehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf die Leistung in dem von der Klägerin begehrten Umfang. Insbesondere ließen die Ausführungen zur vermeintlichen Schädlichkeit von Amalgamfüllungen keine i.S. der Klägerin liegende Entscheidung zu. Ihr, der Beklagten, lägen zahlreiche abweichende wissenschaftliche Stellungnahmen vor. Auch die Ausführungen zum konkreten Einzelfall seien nicht geeignet, die medizinische Notwendigkeit einer Versorgung mit Gußfüllungen zu begründen. Dr. Mende spreche lediglich von einem Verdacht auf eine chronische Quecksilberintoxikation durch Amalgamfüllungen. Der Kaugummi- bzw. Speicheltest sei wissenschaftlich nicht anerkannt und könne deshalb nicht als ausreichende Grundlage für eine Entscheidung zu Gunsten der Klägerin herangezogen werden.
Der als sachverständiger Zeuge befragte Zahnarzt Dr. Stenkamp teilte mit, in der Zeit von Oktober 1981 bis Januar 1982 seien an sechs Zähnen insgesamt 8 Amalgamfüllungen gelegt worden, wobei auch gamma-2-haltige Amalgame verwendet worden seien. Der Auskunft zufolge wurde im Februar 1989 eine der Füllungen erneuert. Die Füllungen hätten zum Zeitpunkt der Entfernung die trotz Politur übliche dunkle Korrosion und Verfärbung, jedoch keine Abbrüche und keine Sekundärkaries gezeigt. Für die Gold-Gußfüllungen seien hochgoldhaltige Legierungen verwandt worden.
Dr. Mende bekundet in ihrem sachverständigen Zeugnis vom 01.02.1993, die Klägerin habe ihr am 02.01.1991 berichtet, daß sie unter Migräne leide und dies auf die chronische Quecksilberintoxikation durch Amalgamfüllungen zurückführe. Es seien eine Epicutantestung und ein Kaugummitest durchgeführt worden. Der Epicutantest habe eine Kontaktallergie auf Kaliumdichromat und Kobaltchlorid ergeben.
Im Speichel habe Quecksilber festgestellt werden können (Leerwert 5,0 mg/l, nach Kauen 14 mg/l). Der Kaugummitest sei am 02.01.1991 in ihrer Praxis durchgeführt worden; die Analyse des Speichels sei durch das Labor Dr. Schiwara und Kollegen in Bremen erfolgt. Einen DMPS-Test habe sie bewußt nicht durchgeführt, da das erforderliche Medikament nicht zur intravenösen Testung zugelassen und die orale Testung nicht aussagekräftig genug sei. Schließlich sei es auch ausreichend, festzustellen, daß bei dem Kauvorgang Quecksilber aus dem Speichel zu analysieren sei, der beim Kauen von Kaugummi ja wohl nur aus Amalgamfüllungen stammen könne und nicht aus Nahrungsmitteln.
Auf Veranlassung des Gerichts erstellte Prof. Dr. Drasch vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München ein Gutachten nach Aktenlage. Der Sachverständige kommt in dem Gutachten vom 03.02.1994 zu dem Ergebnis, daß die Quecksilberabgabe der Amalgamfüllungen der Klägerin zum Zeitpunkt der Messung in einer mittleren Größenordnung gelegen habe. Die Höhe der Quecksilberkörperlast habe zumindest nicht in einem extrem hohen Bereich, sondern im Mittel von Personen mit ähnlicher Füllzahl gelegen. Allgemein sei aufgrund des derzeitigen Standes der Wissenschaft davon auszugehen, daß bei Personen mit 6 Zähnen mit Amalgamfüllungen im Durchschnitt der größere Teil des Quecksilbers im Körper von diesen Füllungen stamme. Dementsprechend lasse sich auch im Falle der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß der überwiegende Teil der Quecksilberkonzentration in ihren Organen von den Amalgamfüllungen stamme.
Die Frage, ob der Ersatz der Amalgamfüllungen im vorliegenden Falle medizinisch-toxikologisch indiziert gewesen sei, lasse sich im wesentlichen nur aus den retrospektiven und subjektiven Angaben der Klägerin ableiten. Danach seien über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren im Schnitt zwischen 5 und 6 Migräneanfälle im Monat aufgetreten. Seit die Amalgamfüllungen entfernt seien, komme es im Schnitt noch zweimal im Monat zu derartigen Anfällen. Aus naturwissenschaftlicher und medizinischer Sicht lasse sich hieraus alleine kein gesicherter kausaler Zusammenhang zwischen Entfernung der Amalgamfüllungen und der Besserung der Beschwerden herstellen. Dies liege im wesentlichen auch in einem Mangel an naturwissenschaftlich und medizinisch gefestigtem Wissen über die Wirkung von Quecksilber in dem Belastungsbereich, wie er durch Amalgamfüllungen zu erwarten sei. Ferner an einem Mangel an Wissen, ob es in der Bevölkerung Personen mit einer besonderen Überempfindlichkeit gegen Quecksilber gibt.
Für die Möglichkeit, daß es sich bei der subjektiv erlebten Besserung der Beschwerden um eine reine Placebowirkung gehandelt habe, könnte nach Ansicht des Sachverständigen sprechen, daß die Besserung der Häufigkeit der Migräneanfälle nach Entfernen der Füllung nur von vorübergehender Dauer gewesen sei. Unabhängig davon müsse aus medizinischer Sicht darauf hingewiesen werden, daß auch eine Placebowirkung, wenn sie zu einer deutlichen Verringerung von Migräneanfällen und damit zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität beitrage, eine durchaus ernst zu nehmende und erfolgreiche Art der Behandlung darstelle.
Die Beklagte wendet gegen das Gutachten ein, es fehle eine Aussage darüber, ob nach allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse mit dem Kaugummi-Test eine zuverlässige Aussage zur Höhe der Quecksilberbelastung gemacht werden könne. Im übrigen habe auch nach den Feststellungen des Gutachters bei der Klägerin keine erhöhte Quecksilberbelastung bestanden. Wenn der Gutachter sage, daß bei Personen mit 6 Zähnen mit Amalgamfüllungen im Durchschnitt der größte Teil des Quecksilbers im Körper von diesen Füllungen entstamme und deshalb auch bei der Klägerin wahrscheinlich der überwiegende Teil der Quecksilberkonzentration in ihren Organen, so handele es sich um reine Vermutung. Ein wissenschaftlicher Nachweis für eine Quecksilberintoxikation sei nicht erbracht.
Der Sachverständige bleibt in seiner Stellungnahme zu den Einwänden der Beklagten vom 15.03.1994 dabei, daß im Falle der Klägerin lediglich mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß der überwiegende Teil der Quecksilberkonzentration in ihren Organen von den Amalgamfüllungen stammt. Die Akten der Beklagten waren beigezogen. Wegen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Die Beklagte hat den Austausch der Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen als Sachleistung zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin steht deshalb ein Kostenerstattungsanspruch gem. § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGBV) zu.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit. Die Versicherten erhalten solche Leistungen gem. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen. Hat die Krankenkasse allerdings eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach § 13 Abs. 2 SGB V von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Krankenbehandlung i.S. von § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V umfaßt (u.a.) ärztliche Behandlung und zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 u. 2 SGB V). Der Anspruch besteht immer dann, wenn die Krankenbehandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V). Die in Anspruch genommenen Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 S. 1 SGB V).
Der Austausch von Amalgam-Zahnfüllungen gegen Gold-Gußfüllungen, war zur Behandlung der Migräne der Klägerin notwendig und auch zweckmäßig. Die Beklagte hätte diese ärztliche Behandlung (nicht: zahnärztliche Behandlung, da keine Zahn-, Mund- oder Kieferkrankheit zu behandeln war - § 28 Abs. 2 SGB V) als Sachleistung zu erbringen gehabt. Dies steht nach Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zur Überzeugung der Kammer fest.
Die Klägerin litt ihren glaubhaften Schilderungen zufolge zur Zeit des Austausches der Zahnfüllungen schon etwa 10 Jahre lang an Migräne. Die Anfälle traten mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 5 bis 6 Im Monat auf. Es ist nicht geklärt, um welche Krankheit es sich im einzelnen gehandelt hat, d.h., ob eine "echte" Migräne vorlag oder ob es sich um eine andere Krankheit mit einem der Migräne ähnlichen Erscheinungsbild gehandelt hat. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, daß ein behandlungsbedürftiger - und der Behandlung zugänglicher - Zustand i.S. von § 27 SGB vorlag. Daran ist nicht zu zweifeln.
Nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V müssen die in Anspruch genommenen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Aufgrund dieser Bestimmung kann in der Regel auf eine diagnostische Abklärung der den Beschwerden zugrunde liegenden Krankheit vor Beginn der Behandlung nicht verzichtet werden. Etwas anderes muß indes gelten, wenn es darum geht, Faktoren auszuschließen, die im Verdacht stehen, für Krankheitssymptome dieser Art (mit-)verantwortlich zu sein.
Kopfschmerzen (Migräne) zählen geradezu lehrbuchmäßig zu den Symptomen einer chronischen Quecksilber-Intoxikation (Informationsbrief Nr. 50 des Labors Dr. Gärtner, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Klinische Chemie, Weingarten, vom Mai 1992). Auch wenn im Falle der Klägerin die Höhe der Quecksilber-Körperlast nicht bekannt ist, - Dr. Mende hat auf den (umstrittenen) Ausschwemmtest mit dem Chelatbildner (DMPS) verzichtet - war die Entfernung der Amalgamfüllungen deshalb dennoch medizinisch indiziert. Denn aufgrund der Ergebnisse des (gleichfalls nicht unumstrittenen) Kautests war zum einen davon auszugehen, daß aus den Zahnfüllungen Quecksilber in einer Größenordnung an den Körper abgegeben wurde, die im mittleren Bereich der Werte liegt, die bspw. Dr. Schiwara und das Bundesgesundheitsamt veröffentlicht haben. Bei diesen Werten ist im übrigen zu beachten, daß nach derzeitigem Stand des Wissens der größte Teil des von dem Amalgamfüllungen abgegebenen Quecksilbers in Form von Quecksilberdampf in die freie Mundhöhle und von dort mit der Atemluft in die Lunge gelangt, wo der Dampf mit einer Quote von etwa 80 % resorbiert wird, während Quecksilber, das in den Speichel gelangt, zum überwiegenden Teil verschluckt und im Magen-Darm-Trakt mit einer deutlich geringeren Rate von etwa 5 % resorbiert wird (Gutachten Prof. Dr. Drasch).
Zum anderen ist aufgrund des derzeitigen Standes des Wissens davon auszugehen, daß bei Personen mit (mindestens) 6 Zähnen mit Amalgamfüllungen im Durchschnitt der größere Teil des Quecksilbers im Körper von diesen Füllungen stammt. Dementsprechend läßt sich, so Prof. Dr. Drasch überzeugend, im Falle der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß der überwiegende Teil der Quecksilberkonzentration in ihren Organen von den Amalgamfüllungen und nicht aus anderen Quellen stammt. Unter solchen Umständen war ein unverzüglicher Austausch der Amalgamfüllungen gegen Gußfüllungen aus unverdächtigem Material geboten. Es wäre nach Auffassung der Kammer aus ärztlicher Sicht unverantwortlich und mit den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie bspw. in § 12 SGB V niedergelegt sind, nicht vereinbar gewesen, die verdächtigen Füllungen so lange zu belassen, bis die Ursache der Kopfschmerzen einwandfrei geklärt und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Quecksilber aus Amalgamfüllungen und der zugrunde liegenden Krankheit naturwissenschaftlich hieb und stichfest erwiesen sein würde.
Die Therapie konnte sich naturgemäß nicht darauf beschränken, die Amalgamfüllungen zu entfernen. Nach der Entfernung der Füllungen lag ein Zustand vor, der zahnärztliche Behandlung i.S. von § 28 Abs. 2 SGB V erforderte. Um zu vermeiden, daß anstelle des beseitigten Risikos in Gestalt der quecksilberhaltigen Füllungen ein neues Risiko tritt, war die Versorgung der Klägerin mit hochgoldhaltigen Gold-Gußfüllungen geboten. Die Klägerin darf aus den genannten Gründen nicht auf eine Versorgung mit den - billigeren Kunststoffüllungen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 08.09.1993 - 14a RKa 7/92 -) verwiesen werden. Der Ersatz der Amalgamfüllungen durch Gold-Gußfüllungen war notwendig und zweckmäßig.
Der Klage war stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Konstanz, Webersteig 5, 78462 Konstanz - Postfach 10 20 41, 78420 Konstanz -, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muß innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Vorsitzende:
gez.
( Müller, Richter am SG )
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
S 550 - Urteil -
Rechtsmittelbelehrung bei
zulässiger oder zugelassener Berufung ohne zugelassene Revision (LSG 08.93)