Das Bundessozialgericht hat sich im Urteil vom 8.9.1993: 14a RKa 7/92 mit der Frage befaßt. ob ein Kassenzahnarzt, der nach Beratung
eines Patienten auf dessen Wunsch Kunststoff anstelle von Amalgam als Füllungsmaterial auch im Regelfall verwendet, wegen eines
Verstoßes gegen die kassenärztlichen Richtlinien disziplinarisch bestraft werden kann. Dabei war von Bedeutung, daß nach §2 Sozialgesetzbuch V die Handlungsmethoden, Arznei und Heilmittel der besonderen
Therapierichtungen vom Leistungsangebot der Krankenversicherung nicht ausgeschlossen sind. Allerdings haben Qualität und
Wirksamkeit der Leistungen dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt
zu berücksichtigen. Zu den besonderen Therapieeinrichtungen rechnet aber insbesondere die Naturheilkunde. Die Ablehnung der
Verwendung von Amalgam als Füllungsmaterial hat deshalb den Stellenwert einer besonderen Therapierichtung. Für diese Bewertung
maßgebend ist eine Vergleichbarkeit der totalen Amalgamablehnung in der Naturheilkunde. Sie kommt zum Ausdruck im
naturheilkundlichen Ansatz der gegen Amalgam erhobenen Bedenken, im Umfang der aus dieser Sicht drohenden Gesundheitsschäden,
in der Bedeutung, die die erhobenen Einwände in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung erlangt haben, und in der
Überzeugungskraft der Argumente. Die von dem Zahnarzt gegen Amalgam im Hinblick auf die Giftigkeit des darin enthaltenen Quecksilbers erhobenen Bedenken hatten in
der Gedankenführung einen naturheilkundlichen Ansatz. Zum Umfang der durch Amalgam drohenden Getahren wird auch von der
Schulmedizin anerkannt, daß ernsthafte Gesundheitsschäden drohen, wenn das im Amalgam enthaltene Quecksilber vollständig oder in
erheblichem Umfang in die Blutbahn gelangen würde. Es geht also nicht nur um Unannehmlichkeiten, sondern um schwerwiegende
Folgen für die Gesundheit. Die totale Ablehnung von Amalgam erscheint unter Berücksichtigung der Schulmedizin einerseits und der
Naturheilkunde andererseits nicht abwegig. Aus der Unwirksamkeitkeit der in den kassenärztlichen Richtlinien zum Amalgam im Seitenzahnbereich getroffnen Regelung folgte nicht,
daß der von der Naturheilkunde ausgehende Zahnarzt bei der Wahl eines Füllungsmatelials im Rahmen der vertragszahnärztlichen
Versorgung keinerlei Bindungen unterliegt. Den allgemein geltenden Gesetzen der vertragszahnärztlichen Versorgung unterliegen auch
die besonderen Therapierichtungen. Hierzu zählt außer dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten insbesondere das
Wirtschaftlichkeitsgebot, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie dürfen das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ergibt sich im Rahmen der konservierenden zahnärztlichen Behandlung bei Füllungen
im Seitenzahnbereich eine besondere Beratungspflicht des Zahnarztes. Angesichts der im zahnmedizinischen Schrifttum eindeutig
vertretenen Auffassung, daß Amalgamfüllungen im Seitenzahnbereich wegen der überlegenen Materialeigenschaften im Durchschnitt
eine erheblich höhere Haltbarkeitsdauer als Kunststofffüllungen haben, muß er den Patienten allerdings auf mögliche Folgen der
Verwendung von Kunststoff hinweisen. Hierzu zählen nach Darstellungen im zahnmedizinischen Schrifttum insbesondere Kariesläsionen
an den Kunststoffrändern, die häufigere, für den Patienten unter Umständen schmerzhafte Behandlungen zur Folge haben und womöglich
wegen eines schnelleren Abbauprozesses der Zähne vorzeitig zur Notwendigkeit einer prothetischen Versorgung führen. Wegen dieser
Risiken ist auch der naturheilkundlich orientierte Zahnarzt trotz seines von der Schulmedizin abweichenden Therapieansatzes verpflichtet,
den Patienten darüber zu belehren, daß Amalgamfüllungen nach dem Erkenntnisstand der zahnmedizinischen Wissenschaft in der Regel
nicht mit gesundheitlichen Gefahren verbunden sind. Erst wenn der Versicherte sich nach der dann von ihm vorzunehmenden
Risikoabwägung für die Verwendung von Kunststofffüllungen entscheidet, darf der Zahnarzt von der Verwendung von Amalgam absehen. Die von der kassenärztlichen Vereinigung verhängten Disziplinarmaßnahmen wurden aufgehoben, weil der Verfahrensausschuß bei
seinem Beschluß von der uneingeschränkten Geltung der maßgebenden Richtlinie auch für Vertreter der besonderen Therapierichtungen
ausgegangen war.